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Betrachtungen

Auf dem Land in Pommern   (vor 1945 ...)
Wutzkow, Schimmerwitz (Smolnik, Gowidlino ...)

von Joachim Charles Hitzke






(Uwe Kerntopf: Diese Arbeit hat Joachim extra für diese Web-Seiten erstellt, wofür ich ihm sehr danke.)

Bin im Mai 1936 in Wutzkow geboren (in der Brennerei-Wohnung).

Ich erinnere mich noch wie mein Vater den Trinkwasserhahn dicht an der Bahnhofsstraße einrichten half (1942-43 ?). Die Leute hatten also keinen Trinkwasserhahn im Haus, sie mußten das Wasser draußen holen. Das Klo oder Abort war also überall ein "Plumpsklo". Die Wäsche konnte so auch dann im Haus gewaschen werden und nicht in der Bukowina.

Man heizte mit Holz in Wutzkow. Bei meinen Großeltern mütterlicherseits, in Schimmerwitz, gleich neben Wutzkow, heizte man mit Torf, wie die meisten Kleinbauern der Gegend (sie hatten 14-16 ha). Eine Art Lehmkachelofen hatte eine zentrale Rolle in der Wohnung und heizte mehrere Räume im Haus mit Strohdach (Schimmerwitz). Die Winter waren kalt damals, Kontinentalwinde waren dort kälter als im Westen, ohne vom heutigen Klimawechseln zu reden. Man besuchte sich auch gegenseitig in dieser Zeit. Dass zu meinen Großeltern in Schimmerwitz auch die Kaschubischen-Polnischen Nachbarn kamen, das war ganz natürlich. War selbst dabei als meine Eltern, obwohl sie in Wutzkow wohnten, eine polnische Nachbarfamilie in Schimmerwitz besuchten (1941-42). Man durfte sich manchmal Pferd und Schlitten am Hof Wutzkow ausleihen.
 

Die Wutzkower, wie die Bauern in den abgelegenen Höfen, backten oder buken ihr Brot selbst, alle 14 Tage; ein kleiner Teil des "aufgegangenen" Brotteiges wurde immer bis zum nächsten Brotbacken aufbewahrt (Sauerteig) um den Teig "gehen" zu machen; Wutzkow hatte einen von allen genutzten Backofen. Auf den Höfen, wie in Schimmerwitz, hatte jeder draußen, abseits von den Gebäuden, seinen kleinen Backofen. Die auf dem Gut beschäftigten Wutzkower bekamen das Getreide (Roggen) als Teil der Entlohnung; die Mühle unten an der Bukowina mahlte den Roggen.

Fast jeder Wutzkower hatte sein Vieh: ein oder zwei Kühe, ein Dutzend Gänse (ich mußte als Kind oft letztere hüten ...), Hühner ...
Im Herbst wurde geschlachtet. Man half sich gegenseitig, denn es war immer viel Arbeit : töten, ausnehmen, einsalzen, räuchern, einmachen (s. Sülze ...), Würste machen ; die Gänse mußten gerupft werden ...
Die geräucherte Gänsebrust war eine Spezialität. Jedenfalls war das Schlachten (Schwein) und Rupfen(Gänse) immer Gelegenheit um sich zu treffen, zu helfen und Informationen oder Klatsch und Tratsch auszutauschen.
 

In Pommern damals, bei den kalten Wintern, kannte man fast nur Daunenbettdecken oder Kopfkissen. Die Allergien waren damals selten (s. Federn) ...

Die Brennerei (Schnaps) war immer eine sehr umworbene Angelegenheit...

Die künstliche Grenze, nach 1918, dicht an meiner Großelterns Hof, hatte die Beziehungen zu den Kaschubischen Höfen nicht beeinträchtigt, wäre nicht die neue Ideologie von 1933 an die Macht gekommen. Polen hatten bei ihnen Pferde zum Verkauf bei Viehhändlern in Lauenburg abgestellt. Es war auch nicht gut gesehen mit Polen gute Nachbarschaft zu pflegen. Jedenfalls wurde mein Großvater 1934 allein verurteilt; Geldstrafen konnte er nicht zahlen. Die ganze Familie hat darunter schwer leiden müssen. Er ging mit 64 Jahren aus dem Leben : der Rassenwahn, die Intoleranz ... war schwer zu ertragen. Er konnte auch die polnische Sprache; die war ganz natürlich in dieser Umgebung.

Meine Urgroßmutter Ehlert, 98 Jahre wurde sie, hab ich auch noch lebend gesehen, in Schimmerwitz; meinen Großvater leider nicht mehr.

Ich erinnere mich auch wie mein Vater mit seinem Onkel Gustav das Radio bei uns in Wutzkow einrichteten (1942-43 ?). Damals brauchte man eine große Antenne draußen (Holzstange über 5 Meter). So hörte ich auch am Radio "feindlich Flugzeuge über Hannover-Braunschweig, im Anflug auf Berlin ...".
Information, Radio, Zeitung ... waren schwer erschwinglich damals für die Wutzkower.

Ein russischer Gefangener arbeitete mit meinem Vater in der Stellmacherei. Dieser (Michel hieß er) war sehr freundlich zu mir : er zeigte mir wie man Brennnessel  zwischen die Hände reibt, gut essen kann. Michel durfte auch mal kurz das Radio hören...
Als ich auf der Straße die durchgehenden Kolonnen russischer Gefangener sah, die sich am Arm untergehakt hielten, so schwach waren sie, und fragte warum ... bekam ich die dumme Antwort "sie wären nicht so sehr zivilisiert, aus einer anderen Zivilisation". Engländer und Franzosen wurden in der Tat viel besser behandelt.

Seine Nahrung und Getränke produzierte der Wutzkower (1) auch selbst, denn Entlohnung war sehr klein (20-30 Mark); dagegen war Wohnung frei, jeder hatte einen Garten und ein Stück Feld. Zahlreich waren die Obstgärten links der Bahnhofstraße bis zum "Backofen" hin. Diejenigen, die auf dem Gut arbeiteten, bekamen ein "Deputat", d.h Naturprodukte, Roggen, Futtermittel...

Die Pommern, Wutzkower, die Kaschuben aßen und essen eher gezuckert im Verhältnis zu Frankreich, dem Elsaß: z. B. Salate wurden mit Zucker und auch Sahne zubereitet während in Frankreich Essig, Öl ... benutzt werden; die Kartoffelpuffer (Flinzen) wurden mit Zucker bestreut gegessen , unüblich im Süden und Frankreich ...usw.  Pilze (Pfifferlinge, Steinpilze, ...), Blaubeeren, Himbeeren, Brombeeren ... im Wald suchen und pflücken; Fische in der Bukowina oder im Wutzkower See fangen oder in diesen Gewässern baden,  das war oft ein großer Teil der Freizeit der Wutzkower obwohl die Arbeitswoche damals sehr lang war (mehr als die 45 Stunden ...)
 
 

Wutzkower hatten schon ihren elektrischen Strom; auf den abgelegenden Höfen wie in Schimmerwitz, bei meinen Großeltern z.B. gab es noch "Petroleumlampen".

Auf den größeren Höfen und Gütern gab es schon Traktoren (z. B. Wutzkow hatte ein "Lanzbulldog"), Dreschmaschinen, ..., aber auf kleineren Gehöften wurden noch die "Flegel" benutzt mit dem man auf die Ähren in der Scheune einschlug (z.B. bei meinen Großeltern).

Ein Auto hatte noch niemand in Wutzkow (auch nicht möglich mit der kleinen Entlohnung in Geld).  Keine Autos, aber Fahrräder hatten die Leute ...
 
 

KINDER.- Wenn ich mich so an Wutzkow und Schimmerwitz zurückversetze, sehe ich unseren Eltern mit 2 Kindern (September 45 dann 3). Nachbarn gegenüber auch 2, aber nebenan 5 Kinder, weiter weg 6, 7 sogar 12. In Schimmerwitz, ob bei Polen oder Deutschen, der Kindersegen war im Schnitt reich : zwei meiner Onkel mütterlicherseits, sind nach Amerika ausgewandert (Wisconsin...); väterlicherseits gab es auch 2 (Großonkel, Großtante). Mit dem Kinderreichtum wurde schon damals der Platz knapp. Stolp z.B., hat heute doppelt und mehr Einwohner als früher.

SICH AMÜSIEREN.- Sich unterhalten war auch damals kein Problem; wie Herta Nofze sagte, man ging manchmal, an Feiertagen, singend durch die Dorfstraße, manchmal mit einem Schifferklavier (Akkordeon). Bei Groth-Drawz, im Saal neben dem Geschäft, war oft etwas los (Tanz). Im Wald spazierengehen; fischen ...
Der Mühlberg, in Wutzkow, diente der Jugend zum Schlittenfahren (Winter).
Mit der Bahn konnte man auch leicht nach Lauenburg, denn Wutzkow war Bahnstation. Man kam hier sogar von Schimmerwitz.

KIRCHGANG.- Eher selten, denn Mickrow war weit; die Jugend wurde dort konfirmiert, denn die Leute waren größtenteils evangelisch-lutherisch. Ich, als Kind, erinnere mich nicht mehr ob ich jemals in der Kirche gewesen bin; bei der Taufe sicher! Später, als Jugendlicher im Elsaß (Frankreich), verspürte ich den höchsten sozialen Druck keine Papiere zu haben, weder Taufschein noch Identitäts- oder Geburtspapiere (letztere bekam ich endlich 1976, als ich sie nie mehr brauchte!).
Die Wutzkower und die anderen Bewohner der Umgebung, waren eher Naturmenschen, kannten noch viele Eigenschaften der Pflanzen- und Tierwelt.
 
 

Nachdenkliches




Bin jetzt Franzose, war auch ein französischer Offizier; bin stolz, dass uns Frankreich 1949 aufnahm, als uns keiner wollte, und uns sogar Hochschulbildung (Dr. es sc. + Habil.; Auß. Professor) ermöglichte.

Als ehemaliger Wutzkower und Pommer, der als kleiner Junge alles miterlebte (Krieg und die Ausweisung im Herbst 1947, Ostzone), möchte ich hier einige Denkanstöße geben.

Die verschiedenen Stammbäume der Familien aus Pommern zeigen, dass viele kaschubischer Herkunft oder gemischt waren.

Ich habe z.B. Enkelkinder deren Großmütter oder Großväter aus Westfrankreich oder Rußland (Kosake) oder aus dem Elsaß stammen.

Die Leute aus Pommern lebten damals, vor der unheilvollen Diktatur, in einem gewissen Paternalismus, eigenes Denken war nicht gefragt, Familien waren oft groß, die Landwirtschaft gab die meiste Arbeit. Es gab das Dreiklassenwahlrecht ...
 

Pommern war gut um Soldaten in die Welt zu stellen (s. Grenadiere ...). In Pommern (Lauenburg) wurde auch das Prinzip des Fernsehens erfunden (z.B. ein Bild in Punkte zersetzen; s. Paul Nipkow, Lauenburg, 1884, Patent Nr. 30105).

Heute wollen viele Leute dahin zurück was die Pommern damals schon waren : Naturmenschen, die die Umwelt respektieren und pflegen (der Torfabbau allerdings war einseitig). Wie schon gesagt, die Leute lebten einen gewissen "Ökologischen Humanismus ..." (2)

Eine gewisse Einführung in die polnische Sprache hätte in Pommern keinem damals geschadet; weniger Hochmut auch nicht; dumme Stereotypen auch nicht (z.B. : bei den Polen wachse das Getreide nur halb so hoch ...). Warum haben die Pommern, Schlesier nicht mehr Charakter, nicht mehr Eigenständigkeit, nicht mehr Willen zur Zusammenarbeit mit den Polen und Kaschuben gezeigt ? Um 1850 wurde ja noch vielerorts Kaschubisch gesprochen und dies bis zur Ostsee.

Konnten die Leute damals nicht mehr denken und tolerieren ? Haben sich die Leute einseitig manipulieren lassen ? Sicher war Bildung und Informationen schlecht, das Radio kam erst auf, Fernsehen kam viel später. Aber die "Gedanken waren frei" wie es im Lied heißt !! Obrigkeitsdenken, das will heißen "die Vorgesetzten" werden schon alles, ohne mein Zutun, gut machen, oder "die Oligarchie wird schon alles für uns richtig denken",  war angesagt. Großfamilien oft mit mehr als 5 Kindern auch ...; aber nach dem Krieg oft keine Kinder per Frau, Männer selten ...

Albert Schweitzer schrieb schon 1923 (3) : "Als überbeschäftigtes, einer wirklichen Sammlung nicht mehr fähiges Wesen, verfiel der moderne Mensch der geistigen Unselbstständigkeit, jeglicher Art von Veräußerlichung, einer falschen Wertschätzung des geschichtlich und tatsächlich Gegebenen, einem daraus entspringenden Nationalismus und einer erschreckenden Humanitätslosigkeit."
 
 

Herbst 1923 war auch der Anfang der Geldentwertung (Inflation in Deutschland) und der Beginn der Verarmung der großen Massen des Volkes, die so in die Arme der großschnäutzigen miserablen Nazis getrieben wurden zum Unglück fast aller Europäer und noch anderer; Obrigkeitsdenken tat den Rest dazu. Wie Vieh folgten die Leute den brüllenden, primären Parteigenossen. War Armut und Hunger damals (1924 und danach) gewollt ? Eine Falle ?
 

Von 17 bis 18 Millionen Vertriebenen, sind an die 5 Millionen umgekommen (Hunger, Misshandlung, nichtbehandelte Krankheiten ...); alle haben ihr Hab und Gut verloren. Ein Denkmal für all diese Menschen sollte an erster Stelle stehen ! ... in Berlin !! Die Torpedierung (30/01/45) der W. Gustloff (9.000 Tote, Frauen, Kinder ...) war eher die größte Schiffskatastrophe, nicht die Titanic (1912, 1.500 Tote). Die Bombardierung von Swinemuende (12/03/45, 25 000 Tote, Flüchtlinge, Frauen, Kinder...) war militärisch unötig. Wo sind da die Menschenrechte ? In Amerika (seit Gründung der UNO) sprach man nach 1945 darüber ..., im Osten litten die Leute.

Jedenfalls viele Wutzkower haben nach 1945 Überlebungshilfe von den polnischen Kaschuben aus den Nachbardörfern bekommen. Herzliche Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft durften wir auch bei unseren Besuchen nach 1985 erleben. Freunde sind wir geworden wie es meine Großeltern schon waren.

Die Pommern sind jetzt überall zerstreut. Die Pommern haben gelernt sich selbst mehr in die Hand zu nehmen. Sie sind offen für ein neues Europa der Gleichberechtigten. Österreich hat das "von" vor den Namen, das nur Vorteile vorab haben will, abgeschafft. Wir brauchen es auch nicht. Es hat uns nichts Gutes gebracht (s. Obrigkeitsdenken). Eine für uns denkende Oligarchie brauchen wir nicht.

Jeder Pommer sollte jetzt mehr an seiner Person arbeiten und sich mehr bilden. Aus der leidvollen Vergangenheit lernen.
Keiner der Wutzkower sehnt sich zurück. Es geht allen jetzt viel besser. Die Freundschaft aber zu den benachbarten Kaschuben von Wutzkow besteht bei vielen weiter. Die Menschen haben sich damals geholfen , die Politik nicht !
Wenn man sich die Waffenverkäufe und die galoppierde Demographie in der Welt anschaut, ist unsere gemeisame Zukunft auf dieser Erde nicht rosig ! (40 Milliarden Euro für die Waffenverk., 50 % davon die USA; Indien u. China kaufen  80 % aller Verkäufe ; viele Länder haben z.B. ihre Bevölkerung innerhalb
der letzten 20 Jahre verdoppelt : Kenya, Algerien usw.)
 
 

Genealogie und Stammbaum

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(Uwe Kerntopf: Den Stammbaum habe ich komplett erfasst [GEDCOM], Anfragen dazu bitte an mich direkt.)
 

(1) Siehe auch mein Buch "Brücken bauen", Wutzkow , 1998 (Hitzke)
(2) J.Ch Hitzke : "Ökologischer Humanismus und Lebensmeisterung... Aphorismen, Gedanken..."
    Website : http://www.books-hitzke.com
(3) Albert Schweitzer :
    "Verfall und Wiederaufbau der Kultur", Kulturphilosophie I. Teil
    " Kultur und Ethik", Kulturphilosophie II. Teil / C.H. Beck, München, 1923
    "Aus meinem Leben und Denken" / R. Meiner, Hamburg, Seite 165, 1931